Gerabergs Bürgermeister will seinen Bürgern die Vertrauensfrage stellen
Überraschend, aber nicht von ungefähr: „Es reicht mir!“
VON NADINE ANSCHÜTZ
Was vor allen in größeren Städten Tradition hat, fand in Geraberg am Freitag erst zum zweiten Mal statt. Bürgermeister Günther Irrgang hatte zum Neujahrsempfang geladen, um mit denen, die das politische und gesellschaftliche Leben im Ort prägen, auf das Erreichte anzustoßen, Vorhaben für das kommende Jahr publik, sich selbst aber auch Luft zu machen und dabei eine für viele überraschende persönliche Entscheidung bekannt zu geben.

GERABERG – Auch wenn das Buffet nicht so pompös wie anderswo ausfiel und die geladenen Gäste aus Politik, Kultur und Gesellschaft ihren Sekt an runden Tischen stehend schlürften, war doch ein jeder froh, an einem Ort sein zu dürfen, der eigentlich gar nicht mehr existieren sollte. Frisch eingeweiht und mit dem wohlklingenden Namen „Haus der Musik“ verziert, bot der ehemalige Saal der Arlesberger Schenke einen würdigen Raum, um das alte Jahr zu verabschieden. War doch in diesem erreicht worden, was sich der stellvertretende Bürgermeister Erich Haake lange gewünscht hatte: Das schon zum Abriss verurteilte Gebäude hatte erhalten, für 70.000 Euro – 66 Prozent davon waren Fördermittel – renoviert und so dem Musikverein Geraberg e.V. zur Verfügung gestellt werden können.

Dass er dem Mann, der dafür ausschlaggebend gewesen war, nicht mehr persönlich danken konnte, berührte Haake sichtlich. Deshalb rief er die Anwesenden auf, dem verstorbenen ehemaligen Vorsitzenden des Musikvereins, Gerd Wehrmann, in einer Schweigeminute zu gedenken. Auch dankte Haake Bürgermeister Irrgang und den Ratsmitgliedern, die für den Erhalt gestimmt hatten, sowie den Mitgliedern des Musikvereins, die bei der Renovierung unentgeltlich mit angepackt und Eigenmittel eingebracht hatten.

Landratstellvertreter Rainer Zobel indes erkannte nicht nur das Engagement von Vereinen, Feuerwehrkameraden und Gemeinderäten an. Er sprach seine besten Wünsche auch in Richtung Gewerbetreibende aus, die mit ihrem unternehmerischen Elan und ihrer persönlichen Haftung „für die Schaffung und Bereitstellung der Arbeitsplätze und auch für das Füllen des Steuersäckels sorgen“, was wiederum die finanzielle Grundlage für viele gemeindliche Aufgaben sei.

Dass die Gemeinde, die zu den größten des Ilmkreises zähle, 2006 bisweilen für politische Schlagzeilen gesorgt hatte, ließ Zobel nicht unkommentiert. Und: Er ermunterte die Geraberger dazu, „weiterhin auf sachlicher Basis ihre Meinung einzubringen und zu vertreten“. Schließlich würde der Landespolitik dieser frische Wind von unten gut tun. „Und vielleicht gelingt es doch noch, die Politik bei kommunaler Gebietsreform, Struktur- und Aufgabenreform oder bei diesem oder jenem Gesetz etwas schneller, praxisnäher oder bürger- und kommunalfreundlicher zu bewegen“.

Gemeindeoberhaupt Günther Irrgang indes bedankte sich bei Vereinsvorständen, Gemeinderäten, Gewerbetreibenden und Gemeindebediensteten, deren Einsatz das zurückliegende Jahr zu einem erfolgreichen hatte werden lassen. Allein, was sein Stellvertreter Erich Haake geleistet habe, „sei nicht mehr zu toppen“, betonte Irrgang. Sogleich reihte er aber auch Bauamtsleiter Gerhard Kämpfer in seiner Aufzählung ein. Schließlich spüre man, „dass er mit dem Herzen bei seinem Ort ist“.

Dass es in diesem Ort 2006 so manchen Höhepunkt gegeben hatte, stellte Irrgang in seinem Jahresrückblick dar. In dem erschien der Bronzemedaillensieg von Walter Elle bei der Frauenwalder WM im Schlittenhunderennen ebenso wie die Feier zum 100-jährigen Bestehen des Kindergartens.

Neben der Nennung erfolgreicher Festivitäten wie „140 Jahre Feuerwehr“ und „15 Jahre Partnerschaft zwischen Geraberg und dem hessischen Lahnau“ kam der Bürgermeister aber nicht umhin, das erste Oktoberfest zu erwähnen. Doch auch wenn dieses dank Dauerregen „ins Wasser gefallen war“, lobte der Bürgermeister das Engagement der Initiatoren. Nicht zuletzt all der durch sie auf die Beine gestellten kulturellen Veranstaltungen wegen, sei das vergangene „für mich das Jahr der Vereine“ gewesen, so Irrgang. Da mittlerweile ein jeder von ihnen unter guten Bedingungen agieren könne, wünschte sich der Bürgermeister für 2007 eine stärkere gegenseitige Unterstützung.

Dass man im Jahr der Fußball-WM auch in Geraberg ein Sommermärchen hatte feiern können, freute Fußball-Fan Günther Irrgang besonders. Schließlich hätte die Arbeit der Trainer Jens Schmidt und Volker Bärwinkel bewirkt, dass die 1. Mannschaft der Spielgemeinschaft Elgersburg/Geraberg in die Landesklasse aufgestiegen sei. Und auch die 2. Mannschaft könne über ihren Kreisliga-Aufstieg stolz sein.

Die positive Nachricht, die Irrgang sodann den Fußballern, aber auch allen anderen Anwesenden verkünden konnte, stimmte ihn augenfällig glücklich. Denn dass er die sich vom Land gewünschten Fördermittel für den Bau einer neuen Sportanlage auf dem vorhandenen, aber sich in schlechtem Zustand befindlichen Sportgelände tatsächlich bekommt, habe er selbst erst erfahren. 200.000 Euro will der Freistaat zur Gesamtsumme von rund einer halben Million Euro beisteuern.

Nachdem Irrgang auch über die Entscheidung, ob Geraberg ins Dorferneuerungsprogramm aufgenommen wird oder nicht, sowie über die weiteren Bemühungen der Gemeinde hinsichtlich des Industriegebietes an der A 71 referiert hatte, verkündete er schließlich eine Neuigkeit, die viele Anwesenden verstummen ließ.

„Es ist möglich, dass ich eine Entscheidung in eigener Sache treffen werde.“ Mit diesen Worten leitete der zur Freien Wählergemeinschaft gehörende Bürgermeister auf ein Thema über, „das mir gelegentlich bis oben stand“. Damit spielte er auf Anfeindungen an, die ihm sogar in drei anonymen Briefen zugegangen waren und in denen der Privatperson Günther Irrgang Vorteilsbeschaffung unterstellt worden war. Auch hätten ständige eher unwichtige und in ihrer Beantwortung offenkundige Anfragen des PDS-Landtagsabgeordneten Frank Kuschel dazu geführt, dass 2006 trotz vieler Erfolge auch „ein nerviges Jahr war“.

„Es reicht mir! Deshalb schließe ich nicht aus, dass ich den Wählerinnen und Wählern 2007 die Vertrauensfrage stellen werde.“ Er wolle dies nicht als Flucht verstehen, sondern die rund 1300 wahlberechtigten Geraberger entscheiden lassen, ob sie ihn weiterhin an ihrer Spitze sehen wollen oder nicht.

Dass man diese Entscheidung akzeptieren müsse, sagte nicht nur Rainer Zobel. Auch Gemeinderatsmitglied Roland Stange zeigte, dass er die Meinung des Bürgermeisters durchaus verstehe. Zumindest im Namen der anwesenden Gäste machte er aber zugleich deutlich: „Wenn Günther Irrgang die Vertrauensfrage stellt, werden wir eindeutig zeigen, dass wir hinter ihm stehen und ihn die gesamte Legislaturperiode von fünf Jahren hier haben wollen!“

FW  08.01.2007